Es begab sich zu einer Zeit, da vieles in den Sternen stand. In einem kleinen Dorf im Kelleramt lebte ein Zimmermann mit seiner Frau. An einem der ersten Frühlingstage, als die Frau gerade etwas im Dorfladen einkaufen war, begegnete ihr auf dem Nachhauseweg eine Unbekannte. Welch wundervoll glitzerndes Kleid diese Frau trug! Die Sonne bahnte sich kraftvoll ihren Weg durch die Schäfchenwolken, und ein heller Schein kitzelte die Kellerämterin an der Nase. Vom Anblick der Unbekannten gefesselt, blieb die Frau stehen. «Vertraue! Bald wird dir das Leben ganz wundervoll begegnen!», sprach die Unbekannte zu ihr und lächelte dabei sanftmütig. Ehe die Kellerämterin etwas erwidern konnte, war die glitzernde Gestalt auch schon im nächsten Bus verschwunden.
Die Frau wunderte sich über diese Begegnung und erzählte ihrem Mann beim Abendessen davon. Obwohl er viele Bewohner des Dorfes gut kannte, konnte auch er diese Frau keiner Familie zuordnen. So liessen sie vom Thema und widmeten sich ihrem Alltag.
Einige Wochen später bemerkte die Frau, dass ihr öfter flau im Magen war. Sie war zudem plötzlich sehr weinerlich und spürte ein Ziehen im Unterleib. Zuerst dachte sie, sie hätte sich einen Magen-Darm-Infekt eingefangen. Nachdem sie und ihr Mann bereits mehrere Jahre erfolglos versucht hatten, ein Kindchen zu empfangen, konnten sie dieses unglaubliche Wunder erst gar nicht begreifen. Sofern so ein Wunder überhaupt begreifbar sein würde.
Unbeschreiblich war ihre Freude und Liebe zu diesem heranwachsenden Kinde, gemischt mit grosser Demut und Dankbarkeit. Natürlich waren da auch Ängste und Zweifel, ob sie der neuen Aufgabe und diesem Kind gerecht werden könnten. Und sie waren gespannt, wer ihr Familie bereichern mochte.
Liebevoll bereiteten sie sich in den folgenden Monaten vor, und die Verbindung zu ihrem Kind wuchs von Tag zu Tag, wie auch der Bauch der Frau. Sie entschieden sich für einen Geburtsort und mussten aufgrund behördlicher Anordnungen vorher noch gewisse Formalitäten erledigen. Dazu war es notwendig, in den Geburtsort des Mannes zu reisen, der in einem anderen Kanton lag. Die Reise war sehr beschwerlich, war die Frau doch nun schon hochschwanger. Auf den Strassen lag bereits reichlich Schnee, und ihr alter VW holperte ziemlich. Aufgrund eines grösseren Verkehrsaufkommens wurde es Abend, bis sie den Geburtsort des Mannes erreichten. Das Zivilstandesamt hatte bereits geschlossen, und das Paar beschloss, eine Unterkunft zum Übernachten zu suchen. Es schneite noch immer, und die Frau war sehr erschöpft.
Einige der Gaststätten waren übers Jahr eingegangen, andere waren in der Winterpause. Der Tourismus in der Ortschaft war leider stark rückläufig. Das Paar fand ganz am Dorfrand noch ein kleines Airbnb, welches eine Übernachtung im kleinen Schuppen neben dem Kuhstall anbieten konnte. Die Frau war erleichtert ud müde, und ihre Beine waren schwer. Zügig wurde der Schuppen geheizt, und im Kerzenschein erschien es schon fast kitschig romantisch. Nebenan hörte man ab und an ein Muhen oder ein Blöken. Sternenklar brach die Nacht an.
Kaum hatte sich die Frau aufs Schaffell im Bett gekuschelt, bemerkte sie schon ein leises Knacken. «Die Fruchtblase!» Konnte das wirklich sein? Kaum hatte sie das gedacht, spürte sie auch schon ein erstes Ziehen im Bauch. Blickaustausch mit ihrem Mann. Beide spürten: Das, worauf sie so lange gewartet haben, ist jetzt absehbar. Ihr Wunder ist unterwegs!
Nervosität und Unsicherheit machten sich breit. Der Frau blieb aber nicht viel Zeit zum Denken, ihr Körper arbeitete fleissig, und sie gab sich dem Geschehen ganz hin. Der Mann überlegte noch einen Moment, was denn nun wohl zu tun sei. Ob er Hilfe holen sollte? Aber ehe er den Gedanken zu Ende bringen konnte, brauchte seine Frau ihn, und er war an ihrer Seite, gab Halt und Kraft – und staunte. Die Stunden zerflossen in Momente, der Sturm der Geburt wackelte an ihrem Boot. Momente der Kraft, Momente der Verzweiflung. Und gerade als sie dachten, es gehe wirklich nicht… Stille! Und ein erster Schrei. Da lag es, von Papa aufgefangen, in Mamas Armen: ein kleines Menschkind Glück. Tränen. Unendliche Liebe. Stolz. «Wir haben es geschafft!»
Draussen brach der neue Tag an. Eisblumen zierten nun die Fenster. Die Hühner gackerten in der Kälte. Emsig gingen Leute am kleinen Schuppen vorbei. Nur wenige ahnten, dass uns in dieser Nacht, wie in vielen zuvor und in vielen danach, ein Wunder geboren worden war.
Ein neuer Mensch. Ein neues Leben. Ein neuer Weltmitgestalter. Ein neues Wir.
Caroline Müri, Hebamme, Jonen
Gefällt mir:
Gefällt mir Wird geladen …